Die Welt der Aquaristik ist reichhaltig und bunt, angefangen bei der Pflege von Tieren und Pflanzen bis hin zum gemeinsamen Austausch. Lange Zeit wurden ethische Aspekte in diesem Hobby kaum diskutiert. Gesetze und Richtlinien wie das Tierschutzgesetz und Mindesthaltungsbestimmungen nennen uns zwar Vorgaben, aber letztendlich sind es auch ein gewisses Augenmaß und gesunder Menschenverstand, welche hier eine wichtige Rolle spielen. Was spricht eigentlich für und was spricht gegen die Aquaristik?
Pro Aquaristik
Ist es grundsätzlich ethisch vertretbar, Lebewesen in Aquarien zu halten? Diese einfach klingende Frage berührt grundlegende Aspekte der Tierethik und ruft nach einer sorgfältigen Abwägung von Chancen und Grenzen. Auf der einen Seite helfen Aquarien Menschen dabei, ein Gefühl für ein biologisches System, sein Gleichgewicht und die Bedürfnisse von Lebewesen zu entwickeln. Aquarianer müssen sich intensiv mit ihren Schützlingen beschäftigen und übernehmen aktiv Verantwortung, denn die Tiere sind ihren Haltern auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Zusätzlich bieten Aquarien eine erfolgreiche Möglichkeit, bedrohte Arten zu erhalten und zu schützen. Durch gezielte Zuchtprogramme in Aquarien können Populationen stabilisiert und vor dem Aussterben bewahrt werden. Dieser aktive Beitrag zum Artenschutz ist eine bedeutende Chance, die uns die Aquaristik bietet.
Contra Aquaristik
Diesen positiven Aspekten stehen grundsätzliche ethische Bedenken gegenüber. Die Haltung von Tieren in begrenzten Räumen wie Aquarien kann ihr Wohlbefinden beeinträchtigen, sofern sich die Aquarianer unzureichend mit ihren Schützlingen beschäftigen. Es ist eine nicht zu unterschätzende Herausforderung, sicherzustellen, dass die Bedürfnisse der Tiere in Bezug auf Platz, Nahrung und soziale Interaktion angemessen erfüllt werden. Zudem kann der nicht regulierte Fang von Wildtieren für den Aquariumshandel negative Auswirkungen auf die natürlichen Lebensräume und die Populationen haben.
Was ist der „Animal Turn“?
Im Mai 2015 veröffentlichte Dr. Clemens Wustmans, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Christliche Gesellschaftslehre der Ruhr-Universität Bochum, ein Buch mit dem Titel „Tierethik als Ethik des Artenschutzes: Chancen und Grenzen“. Hierin wird aktuellen tierethischen Diskursen ein theologisch eigenständiges, verantwortungsethisches Konzept entgegengestellt, das einen Richtungswechsel im Sinn hat. Die Frage stellt sich dann nicht mehr nach der Personalität des Tiers als Individuum, sondern nach Begründungszusammenhängen und Möglichkeiten zum Erhalt von Biodiversität. Ziel ist es, Bewahrung der Schöpfung in dem Maß zu gestalten, dass Ökosysteme und genetische Varianz in möglichst großer Zahl erhalten bleiben. Im Buch wird nach bereichsethischen Konkretionen gefragt und aufgezeigt, wie auf Grundlage des zuvor entwickelten Ansatzes eine Urteilsbildung in verschiedenen Konfliktsituationen möglich ist. Abschließend wird die Arbeit im größeren kulturwissenschaftlichen Kontext des „Animal Turn“ verortet. Der Begriff „Animal Turn“ bezieht sich auf eine theoretische und kulturelle Bewegung, die sich intensiv mit der Rolle und Bedeutung von Tieren in verschiedenen Aspekten des menschlichen Lebens befasst. Diese Bewegung ist Teil eines breiteren Interesses an Tierstudien („Animal Studies“) und spiegelt eine wachsende Anerkennung der Komplexität und Vielfalt tierischer Erfahrungen sowie der Beziehungen zwischen Menschen und Tieren wider. Der „Animal Turn“ hat dazu geführt, dass Tiere nicht mehr nur als Objekte der menschlichen Kontrolle und Nutzung betrachtet werden, sondern als eigenständige Wesen mit eigenen Interessen, Bedürfnissen und Rechten. Dies hat zu einem Umdenken in vielen Bereichen geführt, einschließlich der Ethik, des Rechts, der Kunst, der Literatur, der Wissenschaft und der Politik. In der Philosophie hat der „Animal Turn“ dazu beigetragen, traditionelle anthropozentrische Perspektiven herauszufordern und eine stärkere Berücksichtigung der Interaktionen zwischen Menschen und anderen Tieren zu fördern. In den Sozialwissenschaften hat er dazu geführt, dass Forschende sich intensiver mit Themen wie Tierverhalten, Mensch-Tier-Beziehungen und Tierwohl auseinandersetzen. In der Kunst und in der Literatur hat der „Animal Turn“ zu einem verstärkten Interesse an der Darstellung von Tieren und tierischen Erfahrungen geführt, sowohl in fiktionalen als auch in nichtfiktionalen Werken. Insgesamt hat der „Animal Turn“ dazu beigetragen, das Bewusstsein für die Komplexität und Vielfalt tierischer Lebenswelten zu schärfen und die Position der Tiere in der menschlichen Gesellschaft neu zu bewerten.
Ein wichtiger Impulsgeber
Kritik von außen, sei es von Tierschutzorganisationen oder der Gesellschaft im Allgemeinen, kann ebenfalls dazu beitragen, die Aquaristik voranzubringen. Indem sie auf Missstände hinweist und die Notwendigkeit einer ethisch reflektierten Praxis betont, fördert externe Kritik eine offene Diskussion innerhalb der Community und trägt zur Entwicklung strengerer Richtlinien und Standards bei. Insgesamt bietet die Tierethik eine wichtige Grundlage für die Reflexion über die Aquaristik als Mittel zum Artenschutz. Durch einen kontinuierlichen Austausch und die Berücksichtigung von externer Kritik können Aquarianer ihre Praktiken verbessern und einen positiven Beitrag zum Schutz und zur Erhaltung der Artenvielfalt leisten.
Gemeinschaft als Chance
Der Austausch innerhalb der Aquarianer-Community oder in Verbänden wie dem VDA spielt eine entscheidende Rolle bei der Stärkung der ethischen Dimension der Aquaristik. Durch Diskussionen über artgerechte Haltung, Zuchtprogramme und den Schutz von Wildbeständen können Aquarianer ihr Verständnis für die Bedürfnisse der Tiere vertiefen und gemeinsam nach Lösungen suchen, um ethisch verantwortungsvoll zu handeln. Der Dialog in aquaristischen Vereinen, Vorträge, Artikel und die Diskussionen in Webforen und sozialen Medien tragen dazu bei, Erfahrungen zu teilen und ein besseres Verständnis für ethische Herausforderungen zu entwickeln. So entsteht eine Grundlage für ein verantwortungsvolles Verhalten in der Aquaristik. Beispielsweise wird die Frage, ob eine dicke Schicht Mulm auf dem Boden des Aquariums gut oder schlecht ist, nicht nur ästhetisch betrachtet. Sie kann auch als ethische Überlegung verstanden werden, die zeigt, wie Aquarianer bestrebt sind, im Einklang mit den Bedürfnissen ihrer Lebewesen zu handeln. Der gemeinsame Austausch über solche Fragen trägt letztendlich dazu bei, ein tieferes Verständnis für die ethischen Dimensionen des Hobbys zu entwickeln und bessere Richtlinien für eine ethisch verantwortliche Aquaristik zu formulieren.
von: Nicolas von Lettow-Vorbeck